Telenorma, Pionier der Nebenstellentechnik
Das 1899 von Harry Fuld in Frankfurt gegründete Unternehmen entwickelte sich zu einem der größten Hersteller nachrichtentechnischer Anlagen in Deutschland. Seit 1988 befand sich das Unternehmen vollständig im Besitz der Robert Bosch GmbH. Die Backnanger ANT Nachrichtentechnik GmbH wurde ebenfalls zu dieser Zeit Teil der Bosch Gruppe. Der Boschzünder vom 20. Januar 1988 stellt sehr schön die Geschichte dieses Unternehmens dar, das vielfältige Beziehungen zur Backnanger Nachrichtentechnik unterhielt.
Telenorma voll im Besitz von Bosch
STUTTGART - Die Robert Bosch GmbH hat zum Jahreswechsel 1987/88 die Anteile der AEG Aktiengesellschaft, Frankfurt/Main, an der Telenorma Beteiligungsgesellschaft mbH & Co, Frankfurt/Main, übernommen. Diese mittelbare AEG-Beteiligung am Kapital der Telenorma Telefonbau und Normalzeit Lehner & Co, Frankfurt/Main, betrug rund zehn Prozent. Telenorma befindet sich, nachdem auch die restliche Beteiligung eines Altgesellschafters erworben werden konnte, jetzt voll im Besitz von Bosch. Am 20. November 1981 hatte sich Bosch mit 75,5 Prozent und AEG mit 24,5 Prozent an der damals gegründeten Telenorma Beteiligungsgesellschaft mbH & Co. beteiligt, in die die AEG eine Beteiligung von 41 Prozent an der Telefonbau und Normalzeit Lehner & Co. (heute Telenorma) einbrachte. Diese Beteiligung wurde am 1. Januar 1983 auf 51 Prozent, am 1. Januar 1986 auf zunächst 65,63 Prozent und Ende letzten Jahres, wie im Bosch-Zünder berichtet, auf knapp 100 Prozent aufgestockt.
Bosch-Zünder 1/1988
Eine spektakuläre Idee bei der Gründung vor genau 89 Jahren:
Mit dem Telefon zur Weltgeltung
Mit Technik und Vertrieb von Nebenstellenanlagen hat Telenorma (TN) Geschichte geschrieben
Von Klaus-Dieter Heinrich
FRANKFURT - Rund 17000 Mitarbeiter, mehr als zwei Milliarden DM Umsatz (1987), 15 Vertriebs- und Fertigungsgesellschaften im In- und Ausland sowie Vertretungen in weiteren rund 40 Ländern in aller Welt, etwa 90 Vertriebsstandorte in der Bundesrepublik: das ist Telenorma (TN) heute, drittgrößtes Unternehmen der Kommunikationstechnik in Deutschland. Jetzt hat die Robert Bosch GmbH weitere Anteile an TN von Altgesellschaftern und die Anteile der AEG an der Telenorma Beteiligungsgesellschaft mbH & Co. übernommen (siehe BZ 10/87 und Seite 1 in diesem Heft) und damit die seit 1983 bestehende Mehrheitsbeteiligung an TN auf 100 Prozent aufgestockt. TN ist eine „echte“ Bosch-Tochter geworden. Dies ist uns Anlaß, hier einen kurzen Überblick über TN zu geben und die historische Entwicklung des Unternehmens zu skizzieren.
Fast über jedem Bahnsteig hierzulande hängen Uhren von TN, mehr als drei Millionen Telefone mit dem TN-Signet sind in Nebenstellenanlagen an das Fernsprechnetz angeschlossen, von den für die Bundespost gefertigten, in Hauptanschlüssen eingesetzten Apparaten ganz zu schweigen. Für die Post wurden außerdem bisher fast 800 Vermittlungsstellen mit etwa drei Millionen Teilnehmeranschlüssen im öffentlichen Fernmeldenetz eingerichtet. Und in tausenden von Büros stehen Fernkopierer, Teletex-Systeme, Text- und Datenverarbeitungsanlagen, Kommunikationssysteme, Bildschirmtextsysteme. Alles von TN. Die Tätigkeitsfelder des Unternehmens sind damit bei weitern noch nicht abgesteckt. Systeme zur Erfassung und Vermittlung von Personal- und Betriebsdaten gehören ebenso dazu wie Anzeigesysteme für Industrie, Verkehr, Sport, Gefahrenmeldesysteme bei Brand, Einbruch, Überfall, Wechsel- und Gegensprechanlagen, Personensuchanlagen, Schwesternrufsysteme und so fort. Beispiele in Fülle: Für den Devisenhandel nutzt die WestLB in Düsseldorf eine ausgeklügelte TN-Makleranlage. Im Wiener Praterstadion werden die Tore bei Fußballspielen auf einer großen, computergesteuerten Anzeigetafel von TN verzeichnet. Die Leitstelle der Feuerwehr in Rotterdam und das Kommunikationsnetz dazu wurden von TN eingerichtet, ebenso die Flugleitzentrale der Martinair in Amsterdam. Die Gemälde des Kunsthistorischen Museums in Wien sind mit TN-Alarmanlagen gesichert. In vielen anderen Museen ebenso. Ein Sondernetz für den Nachrichtenverkehr zwischen Bohrinseln in der Nordsee und dem norwegischen Festland wurde von TN installiert. In ungezählten Städten ist die Normaluhr von TN, zum Teil jetzt auch mit Sonnenenergie betrieben, Treffpunkt für jung und alt. Und während der Normalmensch schläft, wacht der Spezialist von TN an Einsatzleitstellen in Köln und Frankfurt mit bundesweiten Anschlüssen im vor drei Jahren eingeführten „TN-Sicherheits-Service“ über die Sicherheit von Bürgern, erkennt und beseitigt Störungen und Gefahren bei Maschinen, Einrichtungen und Anlagen.
In Deutschland Vermietung von Fernsprechern eingeführt
ln der heute so breiten Produkt- und Vertriebspalette hat nach wie vor überragende Bedeutung, was einst der Gründungsanlaß des Unternehmens war: das Telefon. Ein 20jähriger Kaufmann ahnte kurz vor der Jahrhundertwende die große Zukunft des neuen Mediums und widmete fortan sein Leben diesem Kommunikationsmittel. Daß dies in der Stadt geschah, in der fast drei Jahrzehnte zuvor Philipp Reis den Fernsprecher der Öffentlichkeit vorgestellt hatte, seiner Zeit weit voraus und darum schnell vergessen, ohne Folgen, mag seinen Reiz haben. Der junge Frankfurter, der am 13. April 1899 die „Deutsche Privat-Telefongesellschaft H.Fuld und Co“ gründete, war seiner Zeit dagegen nur um die Nasenlänge voraus, die es braucht, um von einem günstigen Startpunkt aus die besten Chancen im Kampf um den Erfolg zu haben.
Harry Fuld, der Unternehmensgründer, 1879 in der Goethestadt geboren, führte als erster in Deutschland die private Vermietung von Telefonen und Fernsprechanlagen ein. Das gab es vorher nur in den Vereinigten Staaten, ein wenig in Frankreich und in Belgien. Von hier importierte Fuld auch die Idee und anfangs ebenfalls die Apparate. Die kleine Firma startete in bescheidenen Räumen im Zentrum Frankfurts mit dem Gründer und zwei Monteuren. Außerdem war von Anfang an dabei der schwäbische Tüftler und gelernte Uhrmachermeister Carl Lehner, acht Jahre älter als Fuld, der Schöpfer der Fernmeldetechnik von Telenorma, später Miteigentümer des Unternehmens.
Schon im Jahr nach der Gründung richtete Harry Fuld Filialen in anderen Städten ein, meist in Form von Tochtergesellschaften mit fremdem Kapital; Köln und Mannheim, München und Nürnberg zuerst. Entscheidend für das frühe, schnelle Wachstum war neben der glänzenden Idee des ungewöhnlichen Vertriebskonzepts der Umstand, daß die Reichspost 1900 den Anschluß von privaten Fernsprechanlagen an öffentliche Leitungen erlaubte. Damit nahm die Nebenstellentechnik ihren Anfang. An ihrem Siegeszug ist das Frankfurter Unternehmen bis in unsere Tage entscheidend beteiligt. Sowohl im Vertrieb und an der Verbreitung als auch in der Entwicklung der Technik vom Druckknopfllinienwähler über die elektronische Multireedschaltung bis zum mikroprozessorgesteuerten Multifunktionsterminal an der Wende zu den neunziger Jahren.
Nach zwei Jahren auch die Produktion aufgenommen
Schon kaum 25 Monate nach der Gründung der Vertriebsgesellschaft nahm Fuld unter enger Mitwirkung von Lehner in einer „Telefon- und Telegraphenbau-Gesellschaft“ die eigene Fabrikation von Fernsprechgeräten mit selbständiger Entwicklung auf. Die vorher aus Antwerpen bezogenen Geräte waren zu reparaturanfällig und damit für den Vermieter zu teuer im Unterhalt. Markt und Vertriebssystem forderten hohe Qualität - seither eine Verpflichtung für das Unternehmen.
Mit fünf Mitarbeitern wurde begonnen, doch bereits 1902 stieg die Zahl der Beschäftigten auf 150. Mit zu dem Erfolg beigetragen hatte die Eröffnung einer Filiale in der Reichshauptstadt Berlin. Dort wuchs das Telefonnetz noch rasanter als anderenorts. Wie auch von anderen Firmen bekannt, bei Bosch beispielsweise war es nicht anders, machte das Wachstum in den ersten Jahren zahlreiche Umzüge notwendig, bis schließlich 1912 der Standort in Frankfurt für Organisation und Fabrikation gefunden war, der (inzwischen wesentlich erweitert) noch heute Hauptsitz von TN ist, Mainzer Landstraße 136-140 (jetzt 123-146), im Westen der Stadt, nicht weit entfernt vom Hauptbahnhof. Damals zogen dort rund 400 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ein. Insgesamt hatte das Unternehmen allerdings in Deutschland an die 3000 Beschäftigte. Und mit der Erzeugung und Vermietung elektrischer Uhren wurde 1913 die Basis der Firma noch einmal zukunftsträchtig verbreitert. Auch im Ausland hatte Harry Fuld Fuß gefaßt, in vielen Ländern Tochtergesellschaften gegründet. Hier lag fast zur Hälfte der Schwerpunkt des Geschäfts. Der Erste Weltkrieg setzte dieser Expansion ein Ende. Während des Kriegs mußte Kriegsbedarf produziert werden, Koppelschlösser, Kochgeschirre und noch weniger schöne Dinge, natürlich auch Feldfernsprecher.
Eine neue Blüte in den Zwanziger Jahren
Nach dem Krieg gab Harry Fuld seinen Unternehmungen organisatorisch neue Akzente, band die Tochtergesellschaften fester an sich. Seine Firma hieß jetzt H. Fuld & Co. Telefon- und Telegrafenwerke“ und wurde zehn Jahre später in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. In den Zwanziger Jahren verwirklichte das Unternehmen einige spektakuläre Projekte, so die Telefonanlagen für das Frankfurter Rathaus und das Berliner Polizeipräsidium. Auch im Ausland war wieder ein Start geglückt. Das Unternehmen blühte neu auf, der Vorkriegsumsatz wurde in der zweiten Hälfte der Zwanziger Jahre bei weitem übersprungen. Harry Fuld, übrigens ein Onkel von Anna Seghers, einer der bedeutendsten Dichterinnen deutscher Sprache, übersiedelte 1926 mit seiner dritten Frau nach Berlin. Mehr als ein Vierteljahrhundert hatte er seine Kraft in das Unternehmen investiert, war morgens der Erste im Büro, kannte keinen Feierabend. Jetzt aber gönnte er sich etwas Freizeit, ohne seine Arbeit zu vernachlässigen. „Er schlürfte“, wie ein Biograph schrieb. „den Champagnerschaum dieser berauschenden Zeit“. Doch sein Einsatz für sein Werk war wohl etwas zu hoch gewesen. Seine gesundheitliche Konstitution wurde immer schwächer. Er starb wie er es sich gewünscht hatte, in den Sielen, auf einer Geschäftsreise in Zürich an einem Herzschlag, am 26. Januar 1932, acht Tage vor seinem 53. Geburtstag.
Dieser frühe Tod hatte nur ein Gutes: Er bewahrte ihn, den Deutschen jüdischer Abstammung, vor dem Zugriff der Nazis. Sie erpreßten bald tiefgreifende Änderungen im Unternehmen, das nach Fulds Tod von Carl Lehner als Generaldirektor geführt wurde. Jeglicher jüdischer Einfluß mußte getilgt werden, ein großer Teil der leitenden Mitarbeiter mußte ausscheiden. Offene Nichtbefolgung des Diktats hätte das Zerschlagen des Unternehmens und den Verlust tausender von Arbeitsplätzen bedeutet. Eine Zeit hektischer Reorganisation begann, an deren Ende, 1936, im wesentlichen noch zwei Gesellschaften übrig blieben, die Telefonbau und Normalzeit KG als Muttergesellschaft und die Telefonbau und Normalzeit GmbH als Produktionsgesellschaft für Telefon und Uhr.
Doch die schlimmsten Jahre sollten erst noch kommen. Versuche, den ehemaligen jüdischen Freunden bei der Existenzgründung im Ausland finanziell zu helfen, brachten die Gestapo ins Haus, und der Firma wurde ein in seinem Streitwert willkürlich aufgeblähtes Devisen- und Steuerverfahren angehängt, weitere Gesellschafter mußten ausscheiden. Durch langwierige Verhandlungen und mit Hilfe einer neuen Gesellschaftergruppe konnten die Selbständigkeit des Unternehmens erhalten und 1941 die Steuerschulden bezahlt werden. Und dann fielen die Bomben. . .
Nicht nur, daß überall in Deutschland die meisten der vermieteten Telefon- und Uhrenanlagen durch Kriegseinwirkung verloren gingen. Auch ein wesentlicher Teil der Werke und Lager wurde bei Luftangriffen zerstört, vor allem im Frühjahr 1944. Beim Zusammenbruch des „tausendjährigen Reichs“ fand sich ein Trümmerfeld in mehrfacher Hinsicht. Neben den inländischen Sachwerten waren der Besitz und die Filialen im Ausland verloren, die Anlagen jenseits von Oder und Neiße und bald' auch die in der sowjetisch besetzten Zone. Abermals wurde ein Neuanfang gewagt.
Sofort nach der Katastrophe mit Wiederaufbau begonnen
„Sofort nach der Katastrophe im Frühjahr 1945 wurde mit dem Wiederaufbau begonnen. In der Erkenntnis, daß intakte Telefonanlagen wichtige Voraussetzung für den wirtschaftlichen Wiederaufbau Deutschlands darstellen, wurde die Instandsetzung des noch vorhandenen Anlagenbestands und bald darauf der Neuaufbau der zerstörten Anlagen tatkräftig in Angriff genommen.“ So wird stolz im ersten Heft (Nr. 39) der TN-Nachrichten nach dem Krieg berichtet, das 1949 als Jubiläumsheft „50 Jahre Telefonbau“ erschien. Carl Lehner war an dem Wiederaufbau ebenso tatkräftig beteiligt wie ein halbes Jahrhundert zuvor bei der Gründung des jetzt als Telefonbau und Normalzeit GmbH firmierenden Unternehmens.
Nach 1945 hat TN für einige Zeit einen Teil seiner Produktionskapazität der Post überlassen; die Auftragssperre während des Dritten Reichs seitens der Post war vergessen. 1949 wurde TN Amtsbaufirma. Eine dritte Blüte führte das Unternehmen in den fünfziger und sechziger Jahren zu neuen Ufern. Die millionste amtsberechtigte Fernsprech-Nebenstelle von TN wurde 1966 installiert. Das Vertriebsprogramm ebenso wie die Zahl der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im In- und Ausland, wo TN ebenfalls wieder aktiv wurde, sowie der Umsatz nahmen mehr oder weniger kontinuierlich im Laufe der Jahre zu. Auch die Zahl der Fertigungsstandorte erhöhte sich. Im Inland sind es neben Frankfurt noch Limburg, Rödermark, Landstuhl, Esslingen und München (Tochtergesellschaft Friedrich Merk-Telefonbau GmbH).
Hatte auch die wirtschaftliche Entwicklung von TN Höhen und Tiefen, so gab es auf dem technischen Sektor keinen Rückschritt. Manche Innovationen sind als große Leistungen von TN in die Geschichte der Technik rund um das Telefon eingegangen. Einige wichtige Meilensteine seien hier abschließend verzeichnet.
Der Druckknopflinienwähler von 1902 wurde richtungsweisend für die Reihenschaltung von Telefonen, erst um 1970 abgelöst von Relais und Elektronik. Drehwählersysteme wurden ab 1921 angeboten. Die Einführung der heute selbstverständlichen Durchwahl vom öffentlichen Netz zu den Nebenstellen von 1930 an basierte auf Entwicklungen des Frankfurter Hauses. In der Vermittlungstechnik führte eine gerade Linie vom Fallwähler (1934) über das Ovalrelais und den Drehwähler mit Wälzankerantrieb in den vierziger Jahren zum Flachreed-Kontakt von 1960 und schließlich zum Multireed-Kontakt von 1965, bei dem vier Edelmetall-Kontakte gegen atmosphärische und sonstige Einflüsse geschützt in einem Glasröhrchen eingeschmolzen sind. Als erstes deutsches Unternehmen brachte TN 1975 vollelektronische Groß-Nebenstellenanlagen in Zeitmultiplextechnik auf den Markt. 1980 wurde erstmals Text-Kommunikation (Teletex) über Nebenstellenanlagen vorgeführt. Die ersten digitalen Vermittlungseinrichtungen für die Post wurden 1983 gebaut. lm Jahr darauf stellte TN „Integral“ vor, Fernsprech-Nebenstellensysteme als Integrationszentren für alle Telekommunikationsdienste. Mit der Entwicklung digitaler Kommunikationssysteme für das neue ISDN-Netz ist Telenorma seit 1985 auf dem Weg in die Zukunft.
Auf einen Blick
Von der Gründung 1899 führte eine wechselvolle Geschichte Telenorma (TN) zum drittgrößten Unternehmen der Kommunikationstechnik in der Bundesrepublik Deutschland mit rund l7 000 Mitarbeitern im In- und Ausland. Eine Reihe von Innovationen rund um das Telefon hat die Entwicklung der Technik entscheidend geprägt.