"Wir schalten um zur Tagesschau nach Hamburg"
Viele erinnern sich noch an diese TV-Ansage kurz vor 20 Uhr im 1. Programm des deutschen Fernsehens Anfang der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Der Bildschirm blieb schwarz, es flackerte und plötzlich erschien der Trailer der Tageschau. Die kam tatsächlich aus dem Studio in Hamburg und wurde in Nordwestdeutschland mit Telefunken Richtfunksystemen aus Ulm im Netz der Deutschen Bundespost übertragen.
Dieses technische Großprojekt wird im folgenden Artikel gewürdigt. Wir zeigen ihn mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Fernsehmuseums in Wiesbaden. Der Bericht wird von uns angereichert mit Fotos aus dem Firmenarchiv der Backnanger Nachrichtentechnik. Bemerkenswert ist auch das Dankschreiben der Deutschen Bundespost für die hervorragende Qualität der Geräte.
Das Fernsehübertragungsnetz in der Bundesrepublik
Die große Richtfunkverbindungsstrecke vom Norden zum Süden
Das Ubertragungsnetz, das bereits jetzt 60% der Bevölkerung der Bundesrepublik mit Fernsehprogrammen versorgen kann, stellt eine Großleistung der Deutschen Bundespost dar
Die Deutsche Bundespost hat ihrem Versprechen gemäß die große Fernseh-Richtfunkverbindungsstrecke Hamburg-Köln-Frankfurt/Main bis München in der ersten Oktoberhälfte 1954 durchschalten können. Sie gab damit den Rundfunkanstalten die Möglichkeit, Fernsehprogramm- Sendungen nunmehr beliebig zwischen Berlin, Nord- und Süddeutschland auszutauschen. Welche Arbeit hier in aller Stille geleistet worden ist, davon ist in der Öffentlichkeit bisher nur wenig bekannt geworden.
Schon 1935, kurz nachdem in Deutschland der erste regelmäßige Fernsehrundfunkdienst eröffnet worden war, begann die Deutsche Reichspost mit dem Bau eines speziellen Fernsehkabelnetzes, um ihre damals geplanten 21 deutschen Fernsehsender mit dem Zentralstudio in Berlin zu verbinden. Sternförmig breitete sich dieses Übertragungsnetz von Berlin aus bis München, Hannover, Frankfurt (Main), Köln und endlich bis Hamburg.
1936 konnten über den ersten Bauabschnitt bereits Fernsehbilder zwischen Berlin und Leipzig ausgetauscht werden. 1937 wurde über die Kabelstrecke die erste Fernseh-Reportagesendung von Nürnberg auf den Berliner Fernsehsender übertragen und von 1941 an konnte das Hamburger Fernseh-Drahtfunknetz über den nördlichen Kabelweg von Berlin aus mit Fernsehdarbietungen versorgt werden. Ende 1944 betrug die Gesamtlänge des für den Fernseh-Programmaustausch geeigneten deutschen Breitband-Kabelnetzes mehr als 2.500 Kilometer.
Nach dem zweiten Weltkrieg mußte dieses Netz innerhalb der sowjetischen Besatzungszone und die süddeutsche Strecke bis München demontiert werden. Den in Westdeutschland verbleibenden Rest bezog die Deutsche Bundespost in ihr nach dem Kriege neu errichtetes Vielkanal-Fernsprechnetz ein.
Nachdem am 31. August 1948 der NWDR im Einvernehmen mit der britischen Militärregierung beschlossen hatte, den Fernsehrundfunk in Deutschland wieder einzuführen, entstand für die Bundespost als Fernmelde-Hoheitsbehörde erneut die Aufgabe, die zukünftigen Fernsehsender und Fernsehstudios aller Rundfunkanstalten in der Bundesrepublik durch ein Fernseh-Übertragungsnetz zu verbinden, das wegen des 625-Zeilenbildes eine Durchlaßbreite von mindestens 5 MHz aufweisen mußte.
Die Bundespost entschloß sich aus wohlüberlegten technischen und wirtschaftlichen Gründen am 12.4.1950, die erforderlichen Fernsehverbindungen als Richtfunkverbindungen auf Dezimeterwellen auszuführen. Sie stützte sich dabei auf Erfahrungen mit einem während des Krieges von Berlin aus sternförmig zu allen Kriegsschauplätzen gespannten großen Dezimeter-Fernsprechnetz.
Da sich die Dezimeterwellen - ähnlich wie Lichtstrahlen - nur geradlinig ausbreiten, mußte die gesamte Übertragungsstrecke in einzelne Funkfelder von 50-60 km Länge aufgeteilt werden, zwischen deren Endpunkten jeweils noch optische Sicht bestand. Am Ende jedes Funkfeldes wurde eine Relaisstelle errichtet, in der das auf einer Dezimeterwelle ankommende Signal bis auf die Zwischenfrequenz (105 MHz) moduliert und anschließend - zur Vermeidung von Rückkoppelungen - auf einer dm-Welle anderer Frequenz wieder ausgestrahlt wird. Um Störungen durch etwaige Überreichweiten zu verhindern, mußte die Strecke in einer Zickzacklinie geführt werden und zwar so, daß möglichst viele große Städte berührt wurden.
Wo nicht - wie zwischen Köln und dem Großen Feldberg (Taunus) natürliche Bodenerhebungen als Stützpunkte dienen konnten, mußte die Bundespost an den endgültigen Relais- und Abzweigstellen massive Betontürme von 40-70m Höhe und 7-8m Durchmesser errichten. Diese Betontürme erhielten je 2-3 Antennenplattformen, in denen die Betriebsräume für Sender und Empfänger untergebracht sind.
Am 19.9.1952, konnte als erster Teil der von Telefunken ausgerüsteten „nördlichen" Dezimeterstrecke der Abschnitt Köln-Langenberg in Betrieb genommen werden. Für Fernsehsendungen von und nach Berlin wurde am 20.10.1952 die „Funkbrücke" Berlin-Höhbeck-Hamburg fertiggestellt. Hier mußte die Bundespost die sowjetische Besatzungszone in einer Länge von 120km auf Ultrakurzwellen ohne jede Relaisstrecke überbrücken, eine Aufgabe, die hart an der Grenze des überhaupt physikalisch möglichen liegt.
Im November 1952 konnte die Bundespost die dm-Verbindung Hamburg-Hannover durchschalten und am 23.12.1952 stellte sie dem NWDR die gesamte, 452km lange Richtfunkstrecke Köln-Hamburg für Fernsehübertragungen zur Verfügung.
Am 15.5.1953 war die dm-Strecke Köln-Frankfurt/Main, sieben Tage später die Anschlußstrecke Frankfurt/Main-Weinbiet fertiggestellt.
Als Vorbereitung für die intereuropäischen Fernsehübertragungen (Eurovision) errichtete die Bundespost eine dm-Verbindung vom Weinbiet zur Hornisgrinde (Schwarzwald) und von da eine UKW-Verbindung zum Chasseral (Schweiz), über die erstmals am 24.1.1954 der schweizerische Fernsehfunk an das deutsche Fernsehnetz angeschlossen werden konnte.
Die Eurovisionssendungen vom 6.6.1954 bis 4.7.1954, die auch die Übertragung der Fußball Weltmeisterschaften brachten, verlangten neue Richtfunkverbindungslinien von Köln nach Holland und von Hamburg über Fehmarn nach Dänemark.